ZIEH DOCH IN EINE MIETWOHNUNG
von Nikola Basler
Erstaunlicherweise hat dieser durchaus gängige Vorschlag keinen der in der Friedrichstraße und im friedrichstadtZentral e. V. Ansässigen überzeugt. Der Lohn der Arbeit, die es bedeutet, statt 60 qm in der Neustadt eine raue Fabrikhalle zur eigenen Wohnung zu machen, war zu verlockend. Auch wenn die sehr günstige Grundmiete sich durch Investitionen in Kupferrohre, Badezimmerfliesen, Gipskartonplatten und den Elektriker relativiert, bleibt: ein nach eigenen Wünschen geschaffener Lebensraum. Nachbarn, die erst zu Bauhelfern und dann zu Freunden werden. Ein ganzes Haus, das sich dadurch gemeinsam gestalten lässt. Eine ungeschriebene Hausordnung, die sich nicht an Ruhezeiten und Kehrdiensten orientiert, sondern an dem, was alle tatsächlich brauchen: Hier ein bisschen mehr Freiraum, da ein bisschen mehr Rücksichtnahme. Ein Beschwerdeanruf beim Hausmeister ist überflüssig, wenn sich die Nachbarn im Haus kennen und bei Problemen genauso gut an die Tür klopfen können.
Die Türen: Es gibt sie, aber sie werden oft geöffnet und dahinter und davor finden viele Gespräche statt. Das ist nicht nur zwischenmenschlich angenehm, sondern sofort produktiv. Den friedrichstadtzentral e. V. gibt es, weil interessierte Menschen sich beim gegenseitigen Badausbau, beim Kaffee oder im Treppenhaus unterhalten haben. „Ich arbeite gerade an...“, „Ich habe ja neulich gelesen, dass...“ oder „Eigentlich sollte man mal...“ waren oft die Startpunkte für verschiedene Projekte. Man könnte meinen, dass das bei Menschen, die zu einem großen Teil einen künstlerischen/kreativen Hintergrund haben, normal ist; in einem Atelierhaus könnte eine ähnliche Dynamik entstehen. Es scheint aber, dass der Wohnalltag eine besonders gute Brücke ist, oder der Kitt, der die Ideen langfristig zusammenhält: Wenn ein Projekt beendet ist, zerstreuen sich die Teilnehmer nicht. Die Basis bleibt, das Gespräch geht weiter, neue Leute kommen dazu, der Kreis wächst.
Deshalb soll auch im Zentralwerk in der Riesaer Straße das Wohnen unter keinen Umständen fehlen, als die Basis, die alle Teile zusammenhält, und das Element, das die Kunst vor der Eigenbrötlerei bewahrt und das Privatleben vor der Abschottung. Alle Zentralwerk-Initiatoren – mittlerweile 32 an der Zahl – mieten als Genossenschaftsmitglieder Wohnflächen an und leisten den Ausbau selbst. Sie stellen außerdem das Geld zur Verfügung, das der Genossenschaft als Eigenkapitalsockel die Kreditaufnahme für die Sanierung des gesamten Geländes ermöglicht. Dabei gilt das Solidaritätsprinzip „Jeder, so viel er kann“. Dass die finanzielle Ausstattung bei einer so heterogenen Gruppe sehr unterschiedlich ausfällt, ist die allgemein akzeptierte Ausgangslage - ebenso wie die Tatsache, dass auf Grund des Genossenschaftsmodells trotz investiertem Privatvermögen kein Eigentum herauskommt. Bei unserem Modell geht es um einen anderen Mehrwert: ein lebendiges, selbstbestimmtes Umfeld, bei dem Austausch, Miteinander und Ideen der Schwerpunkt sind und in dem die eigenen Vorstellungen neben und mit denen der Nachbarn verwirklicht werden können.
NEBEN MEHRHEIT UND MEHRWERT - GEDANKEN ZUM ERHALT VON FREIRÄUMEN
von Sabine Dressler
In der Debatte darum, wie Einfluss auf Stadtrat und Stadtverwaltung gewonnen werden kann, um Freiräume zu schaffen und zu erhalten, werden verschiedene Strategien gegeneinander abgewogen, befürwortet, kritisiert und verworfen. Zum Einen wird das Argument der Demokratie bedient, als einer, die die Mehrheit vertritt. ‚Freiräumler‘ müssten also selbst eine Mehrheit darstellen, um auch im Stadtrat eine Mehrheit für sich zu schaffen. Ich nenne es das Totschlagargument: Die Forderung nach Freiräumen wird nie eine Mehrheitsforderung sein können, denn sie formuliert den Wunsch nach Alternativen. Der Verweis auf die Mehrheit spiegelt eher die Erfahrung einzelner Stadtrat-Politiker, in ihren Bemühungen um Unterstützung gegen Windmühlen zu kämpfen.
Ein anderer diskutierter Weg ist die Übersetzung des eigenen Lebensstils in einen ökonomischen Mehrwert für die Stadt: Weil die Kreativszene ein nicht mehr zu ignorierender Wirtschaftszweig ist, muss sie mit Arbeits- und Freiräumen gefördert werden. Oder: Weil Dresden eine Kunst- und Kulturstadt ist, muss sie die Kunstszene bereits an ihrer Basis fördern, um diesen Status zu erhalten, innovativ und touristisch attraktiv zu bleiben und so Gelder in die Kassen zu spülen usw. Im Grunde geht es darum, eine Sprache zu verwenden, die letztlich auch CDU und FDP verstehen. Dieser Weg erscheint mir als eine Gradwanderung: Zum einen könnte er den Diskurs um ökonomischen Mehrwert sinnvoll erweitern. Zum anderen aber werden Projekte und Initiativen, die gerade eine Alternative zur ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalkulation setzen wollen, an diese wieder zurückgebunden. Damit könnten auch Lebenswelten an den Rändern des herrschenden Diskurses um Wirtschaftlichkeit von diesem einverleibt werden. Deswegen begrüßen die einen diesen Weg als erfolgversprechende Lobbyarbeit, die anderen empfinden ihn als eigenen Ausverkauf.
Wenn der Wunsch nach Freiräumen aber kein Mehrheitswunsch sein kann und sich Freiraum-Initiativen nicht auf einen finanziellen Mehrwert für die Stadt hin verbiegen wollen, dann brauchen wir etwas anderes. Wir brauchen eine Mehrheit, die sich für Minderheiten interessiert! Für Minderheiten, welche nicht in einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Formel aufgehen. Das nenne ich Demokratie, darin sehe ich ihren Grundbaustein. Aber nicht nur das. Solche Minderheiten sind ein wichtiges Korrektiv, das einer bereits deutlich spürbaren Verengung aller Lebensbereiche auf die Rentabilitätsformel hin entgegenwirkt. Es geht darum, den Diskurs zu verändern, und zwar nicht nur dahingehend, dass auch Freiräume ökonomisch rentabel sein können, sondern dass eine Stadt Räume braucht, die frei sind von einer ökonomischen Rentabilität. Es geht nicht darum, eine Mehrheit auf der Straße oder im Stadtrat davon überzeugen zu wollen, dass der eigene Lebensstil der richtige ist, um vielleicht selbst irgendwann Mehrheit zu sein, sondern die Mehrheit muss dafür sensibilisiert werden, dass es einer Vielfalt an Lebensstilen in einer Stadt bedarf und dass diese Vielfalt einen anderen, einen sozialen Mehrwert darstellt – für die Stadt und für jeden selbst.
Wenn Dresden das nicht erkennt, wenn es seine Freiräume gegen das Versprechen auf rentable Immobilien eintauscht, statt sie zu schützen, dann wird es um einen Menschenschlag ärmer, der entscheidend zu dieser Vielfalt beiträgt und sie weiterträgt – in andere Städte. Die aktuell deutlich spürbare Verdrängung in Dresden nährt wiederum auch den Drang vieler (Lebens-)KünstlerInnen und Kreativen selbst, Dresden zu verlassen. Er könnte bald jene Hartnäckigkeit einnehmen, die sie im Moment noch aufbringen, um ihre Freiräume zu erhalten, weil auch sie hier zu Hause sind und weil sie dieses Zuhause mit aller Energie so lebendig wie möglich gestalten wollen. Was für ein Verlust für alle, wenn Dresden diese Lebendigkeit aufgibt.
Zu den Vorteilen eines Kulturortes, der Privatheit und Öffentlichkeit miteinander verbindet
von Friedrich Hausen
In Dresden ist die junge Kulturszene seit Jahren immer mehr in Bewegung. Neue Veranstaltungsorte werden eröffnet, andere schließen. Ursache für das Ende eines Kunstraums sind meist höhere Mächte, die Teuerung, der Verkauf eines preisgünstigen Ortes an Spekulanten und renditefixierte Immobilienbesitzer.
Mit dem Zentralwerk wird ein selbstorganisierter Kulturraum geschaffen, der kostengünstigen Wohn- und Atelierraum mit einem passenden Veranstaltungsareal verbinden soll. Das Konzept folgt den Erfahrungen des FriedrichstadtZentral e.V., der diese Mischform aus Wohnen, kreativem Arbeiten und Veranstaltungen schon überzeugend lebte. Mit dem Zentralwerk soll nun ein neuer Ort bespielt werden, der sich unabhängig von Investoren in Dresden-Pieschen etabliert.
Wozu aber die Verbindung von Wohnung, Atelier und Veranstaltungsort? Der Rahmen ist insgesamt freundlicher und herzlicher, wenn er bewohnt ist. Gerade beim alljährlichen Festival Sichtbetonung lud nicht nur der FriedrichstadtZentral e.V. zu zahlreichen Konzerten, Ausstellungen und Performances ein – auch die Hausgemeinschaft mit ihren Bewohnern machte manche Wohnung vorübergehend zum Veranstaltungsort.
Die enge Verbindung von Arbeiten und Wohnen macht manche Wege kürzer, Entscheidungen schneller und Aktionen spontaner. Für auswärtige Künstler, die in die Veranstaltungen eingebunden sind, bietet dieses Format vielfältigere Möglichkeiten und finanzielle Flexibilität. Nach einer überlangen Organisationsbesprechung einfach vor Ort Quartier beziehen, am nächsten Morgen beim Frühstück entscheidende Punkte noch mal durchgehen und los geht’s. So muss man sich nicht nachts müde durch die lückenvollen Fahrpläne der Stadt bewegen. Auch die Pausen kann man in der häuslichen Atmosphäre beim gemeinsamen Kochen verbringen, anstatt ins Schnellrestaurant zu laufen.
Wer Hilfe braucht – sei es Werkzeug, sachverständiger Rat oder zwei Hände zum anpacken – nebenan wohnen und arbeiten andere, die es vielleicht gerade geben können.
Und für die Bewohner selbst? Weite Wege zur Arbeit stellen für viele Menschen einen großen Stressfaktor dar. Gerade mit Familie wird die Organisation erheblich erschwert. Verzahnt sich alles an einem Ort, können Dinge parallel laufen und auch kleinere Dinge können schnell zwischendurch im Atelier erledigt werden.
Die Vorteile eines solchen gemeinschaftlichen Hausprojektes, das Wohnen mit Veranstaltungen und Arbeitsateliers vereint, setzen eine entsprechend vorbereitete und gereifte Sozialität voraus. Hier ist an vielen Stellen spontane Hilfsbereitschaft ebenso erfordert, wie Vertrauen, Empathie und Offenheit. Das Projekt Zentralwerk kann auf ein langerprobtes Netz von Ateliergemeinschaften und Freundschaften aufbauen. Ein Netz, welches schon manche Belastungsprobe in aufwendigen Veranstaltungen bestand und bei allen Hindernissen, die sich in den Weg stellten, immer wieder zu neuem Schwung, neuer Kraft, neuer Vision hat finden können. Der Wechsel von der Friedrichstadt zu dem wesentlich größeren und aufwendigeren Areal in Pieschen setzt das Netzwerk um den FriedrichstadtZentral e.V. vor die Herausforderung, bei allem Wachstum an Verantwortung und aller Straffung der organisatorischen Strukturen das bunte und spielerische Moment sowie Freundschaft und Lebenslust als Wurzel des Engagements an den neuen Ort mit hineinzutragen.